MICHAEL STOEBER: Wer bin ich? (Zum Werk von Johanna Smiatek), August 2012
MARK GISBOURNE
Ruhelosigkeit und der Humor des Begehrens
(Die tragikomische Dingwelt der Johanna Smiatek)
Auf den ersten Blick ist ein komisch-tragisches Objekt etwas, das scheinbar jenseits jeglicher Tröstung liegt. Niedergeschlagen steht es alleine und spricht nur für sich selbst in einem Zustand betrübter Entrücktheit. Das eigentliche Dasein des Objekts, also dessen Bedeutung und Gebrauchswert, bleibt unbeachtet oder wird von der Welt weitgehend verschmäht. Es bleibt einfach ein vertrautes Ding, besetzt von einem Fehlen der Funktion und/oder einer Missachtung des Gebrauchswertes. Aber durch einen schöpferischen menschlichen Eingriff kann sogar das regloseste der trostlosen Objekte magisch transformiert werden und nach menschlicher Achtung aufschreien. Dies, so scheint es, ist die hingebungsvolle Aufgabe der Skulptur- und Objekt-Macherin Johanna Smiatek. Sie nimmt, was wir als alltägliche Objekte und deren Eigenschaften ansehen, und verhilft diesen durch ihren Witz und Humor zu einer erweiterten Bedeutung in der menschlichen Vorstellung. Smiatek transformiert Objekte im wahrsten Sinne des Wortes, erfindet oder erschafft sie und formuliert zugleich konsequent die Möglichkeit unterschiedlicher Abfolgen gefühlter Ergebnisse und Erfahrungen. In der von der Künstlerin bevorzugten sachlichen Verwendung von Objekten oder Objekt-Skulpturen, übernimmt eine ironische und/oder bissige Art von Humor ganz klar die Hauptrolle. Wie Sokrates schon beobachtet haben soll: „Das Komische und das Tragische sind so untrennbar miteinander verbunden wie Licht und Schatten”. Oder, wie die Surrealisten einst in ihrem Plädoyer zur Umwandlung vorgefundener Gegenstände argumentierten (in dem sie ihre entfernten Realitäten zusammenbringen): Sie können durch poetische Fantasie verwandelt werden, was in dem jetzt oft gebrauchten Zitat zum Ausdruck kommt „schön wie die zufällige Begegnung eines Regenschirms und einer Nähmaschine auf einem Seziertisch”.1
Die Künstlerin Smiatek nähert sich dieser Komi-Tragik der Objekt-Welt auf eigenen, deutlich verschiedenen Wegen, weitgehend basierend auf einer typischen Sprache der entzogenen Gebrauchsfähigkeit, und es ist vielleicht nur dieser Aspekt, in dem wir bestimmte Verwandtschaften zu den Surrealisten finden. Smiateks Arbeiten und Installationen beinhalten halbmotorisierte- und Windobjekte, die sich mit Bezügen zur kinetischen Kunst beschäftigen. Ihre indirekten Blicke führen zu neuen Verständnissen von Wahrnehmungen, während ihre Wandgrafiken mit sprachlicher Verschiebung und zeichentheroretischen Informationssystemen spielen. Ihre Werkgruppe Doggy Doggies, ein an Witz und Anspielungen reiches Ensemble von Objekten, kitzelt die Eitelkeiten des zeitgenössischen Modekonsums heraus. Wichtig ist es, ihre motorbetriebenen und windbasierenden Arbeiten nicht nur als späte Ausläufer der Kinetic Art und Op Art zu verstehen.2 Der materielle Zustand der Objekte wird nie zugunsten von Trickeffekten oder verzerrten Wahrnehmungen aufgelöst, auch sind ihre Objekte nicht willkürlich oder zufällig zusammengefügt, wie es bei den Surrealisten üblich war. Eher greift sie in die Welt der Dinge ein, eignet sich diese an und leitet deren Funktionen und frühere Identitäten um. Smiatek versetzt die Objekte in einen alternativen Zustand und belebt diese wieder, indem sie für sie ein neues ästhetisches Leben erschafft, losgelöst vom bloßen Gebrauch. Und dies ganz gleich, ob sie die eigentlichen Objekte selbst erschafft, oder sie aus bereits vorgefundenen Objektsituationen nachempfindet.
In den motorisierten Arbeiten wie beispielsweise Bar (2008) zittern ein Getränkeschrank und Gläser, sobald ein Betrachter einen Bewegungsmelder auslöst, während er sich nähert. Dieses Prinzip der Zuschauer-Interaktivität ist ein zentrales Merkmal vieler Objekt-Skulpturen Smiateks. Der Gebrauch von Sensoren als Auslöser gibt den Objekten ein mögliches Leben, bringt gängige Begriffe von Nützlichkeit und unsere vertrauten Erfahrungen mit den Objekten aus dem Gleichgewicht. Bereits in frühen Arbeiten wie Die Eindringlinge (2002) oder Die Nacht davor (2004) sind Motorantrieb und sensorgesteuerte Vibration ein kontinuierliches Merkmal ihres künstlerischen Werkes. In Die Eindringlinge wurde ein schmaler korridorähnlicher Raum genutzt. An Drahtseilen aufgehängte rote Filzmützen bewegten sich umher, ausgelöst durch einen Sensor außerhalb des Raumes. Die Nacht davorwar eine Installation in einem schmalen Kellergang. Drei Billardkugeln, die auf einer hölzernen mit Filz bezogenen Ablage platziert waren, rotierten unwillkürlich um ihre eigenen Achsen. Sie wurden begleitet von aus Silikon gegossenen Billardqueues, die in ihrem Wandgestell vibrierten. Das Geschehen wurde durch versteckte Bewegungsmelder ausgelöst, sobald jemand über die Treppe ins Kellergeschoss ging. Eine ganze Reihe von Ideen wurden aus diesem Prinzip oder dieser Arbeitsweise heraus entwickelt. Erstens kam es dort zu einer doppelten Verschiebung, nämlich sowohl die der Objekte als auch die ihrer Funktion. Zweitens, wurde der Effekt gleichfalls verdoppelt und räumlich verlagert, denn die Situation war zusätzlich durch eine Kamera wahrnehmbar, deren Bild man im ersten Stock des Ausstellungsraumes verfolgen konnte. Hierdurch wurde der Betrachter zeitgleich räumlich verschoben. Ein weiterer Aspekt stellt Geräusche dar, da der Vorgang eigens hörbar gemacht wurde. Die Rolle der sich selbst erzeugenden Geräusche ist für Smiatek sehr wichtig. Und letztendlich, muss das Werk als eine interaktive Installation verstanden werden, bestehend aus einzelnen Elementen eines gesamten Erlebnisses. Die Rolle der interaktiven Installation und Ausstellung ist ein wichtiger Faktor, nicht zuletzt durch den Gebrauch von Sensoren wird das Wortspiel ‘sensorisch’ fast literarisch und entwickelt sich zu einem Feld von vielfachen Sinneserfahrungen.
Es ist nicht überraschend, dass Smiatek nicht nur an wahrnehmungstheoretischer Auseinandersetzung interessiert ist, sondern durch ihren mathematischen Hintergrund ein spezielles Interesse an geometrischen Objekten, Achsenrotationen und symmetrischen Ausrichtungen hat. Objekte sind Dinge in der Welt, und obgleich sie der Psychologie unserer Wahrnehmung unterworfen sind, bleiben sie in erster Linie einmal materielle Existenzen. Das heißt, man darf nicht die komplexe Schnittstelle zwischen der Welt der Wissenschaft, Technologie und ästhetischer Empfindungen vergessen, die von mathematischen Anschauungen beherrscht wird. In Smiateks Arbeit Oh cet echo (2006), wird ein komplexes Beziehungstheater in Hinsicht auf Selbstliebe und rhetorischer Verblendung erzeugt. Basierend auf dem Mythos ‘Narziss und Echo’ in der Fassung Ovids, ist ein mit schwarzem Samt verkleidetes Regal mit Kasten und Spiegel installiert, in dem ein Sprachrekorder mit einem Schalter verbunden ist.3 Das Aufnahmegerät nimmt die Sprache der letzten zehn Sekunden des Spiegel-Betrachters auf, bevor diese wieder gelöscht wird. Offenkundig ist zunächst die literarische Symbolik des Spiegels als eines Instruments narzisstischer Selbstbetrachtung und des sich verlierenden Tons als Echos Dahinschwinden. Doch bei eingehender Betrachtung offenbart die Arbeit eine enorme thematische Vielschichtigkeit, der auch Jacques Derrida in seinem Seminar und Filmprojekt ‘Echo und Narziss’ auf den Grund gegangen war. Was Derrida problematisierte, war das Verhältnis zwischen dem Bild des Spiegels und der Stimme als ‘Sprechakt’, zwischen Sehen und Sprechen, zwischen dem Echo als übereinstimmender Wiederholung und Aneignung (Narziss selbst spricht nie) und dem Spiegelbild als Form der Selbstverblendung, denn man sieht sich nie wirklich selbst – daher befindet sich diese Präsenz (gerade zu sich selbst) immer in einem zwiespältigen Zustand.4 Wie in vielen anderen Arbeiten Smiateks können Dinge auch ausgetauscht werden und erweitern sich somit als Idee durch jede einzelne Installation. In einer Variante derselben Arbeit bezog sie eine Gouache-Zeichnung auf Papier namens Swimming Pool (2003) mit ein, vielleicht um anzudeuten, dass die Schönheit – genau wie im Mythos – auf dem Wasser (oder Spiegel) selbst liegt und dass sie nicht nur ein substanzloses Flimmern an seiner Oberfläche ist. In der Tat bilden Zeichnungen für Smiatek einen wichtigen selbständigen Bestandteil bei der Entwicklung von Ideen. Manchmal werden sie unmittelbar für die Realisierung eines Projektes verwendet, ein anderes Mal sind sie die Basis für die Entwicklung von nachfolgenden Ideen.
Bilder und Töne, Sehen und Hören, der Blick und seine Leugnung greifen im Werk von Johanna Smiatek häufig eng ineinander. Vor allem gilt das für jene Arbeiten, die die Künstlerin ‘indirekte Blicke’ nennt. Ein frühes Beispiel dafür ist Zur schönen Aussicht (2002), bei der aus einem Fenster aufgenommene Fotografien, in Guckkästen installiert, durch verschiedene Linsen zu sehen waren. Die Bilder zeigten Gartenzwergversammlungen und -begräbnisse, einen seltsamen Koffer, etwas makabre rote Schuhe und angedeutete Mordszenen im Innern der beleuchteten Guckkästen. Obwohl überaus komisch, spielten auch diese Bilder perfekt mit dem schon erwähnten sokratischen Paradoxon des Komischen, das ins Tragische kippt. Etwa zur gleichen Zeit entstand die Arbeit Auf Reisen (2002), ein kleiner, innen mit Stoff verkleideter Koffer mit eingelassenem Spion, durch den man eine miniaturisierte Zimmereinrichtung mit Bett sah. In der Arbeit bezieht sich offensichtlich beides, sowohl der Begriff des Koffers oder der Reisetasche, als auch das voyeuristische Prinzip des versteckten Blicks, auf Duchamps ‘Boîte en Valise’.5
Die einäugige Peepshow oder der Blick durch den Spion wurden später in der Fächer-Arbeit Mata Hari (2004) wieder aufgenommen, in der ein Spion im Griff des Fächers eingebaut wurde. Mit diesem Fächer kann die Verdopplung des Blicks ausgeübt und die Blickverlängerung aufrechterhalten werden, egal, ob der Fächer geöffnet oder geschlossen ist. Die Künstlerin deutet mit diesem ‘Doppel’ nochmals den Entweder/Oder-Sinn der Objektfunktion an. Es ist das Spiel ‘Du siehst mich, Du siehst mich nicht’. Gemeinsam ist vielen Objekt-Skulpturen Smiateks, dass sich wiederholende Rollenmuster und Funktionen in ihr Gegenteil umkehren.
Eine weitere Werkgruppe befasst sich in anderer Hinsicht mit dem Blick als solchen. Diese Arbeiten beinhalten die Idee vibrierender Spiegel, die nicht nur den Akt des Hinsehens destabilisieren, sondern auch den Vorgang der Reflektion als solchen herausfordern. Eine der Spiegelinstallationen hat den eigenwilligen Titel Paris, oder wie eine Götterspeise auf Beinen (2007). ‘Paris’ bezieht sich auf den Geliebten von Helena, und ‘Götterspeise auf Beinen’ ist die Parodie auf Jack Lemmon´s Monroe-Zitat in ‘Manche mögen´s heiß’. Und, nicht zu vergessen, ist hier die Wirkung einer konstanten Verdopplung oder Vervielfachung des erfahrenen Bildes beim Hineinschauen in den vibrierenden Spiegel. Somit erfahren wir das gleiche ‘Doppel’ oder die verdoppelnde Tendenz, die wir vorher beobachtet haben. Das mag der Grund dafür sein, dass Smiatek dies ‘Doppel’ zu einer logischen Schlussfolgerung in ihrer neueren Arbeit Paravent (2008) weitergeführt hat. Diese Arbeit ist wortgetreu ein ‘zwei-Wege-Spiegel’, in einem vierteiligen gerahmten wandschirmähnlichen Arrangement. Zweifelsohne, Bezug nehmend auf den Gebrauch des Spiegels in ‘Echo und Narziss’, wird hier die Einstellung zum Spiegelbild als einer Form der Selbstverblendung immer komplexer und zeigt nochmals wie unsere Spiegelreflexion durch das Abbild die wahre Natur des Selbst vortäuscht. Bei all dem sollte man nicht versäumen, auf die geistreiche Ironie und die witzigen Aspekte hinzuweisen, die diese Arbeiten entfalten und die sich als Leitmotiv durch das Werk der Künstlerin ziehen.
Das Zusammenwirken von Motorisierung und Wind ist ein weiterer wichtiger Aspekt in den Objektarbeiten Smiateks. Aber gleichzeitig besteht ein Unterschied zwischen den Arbeiten, die vom Betrachter meist unbewusst ausgelöst werden, und solchen, die eine bewusste Teilnahme oder Entscheidung mit einbeziehen. In Installationen wie Perlon Movie und Verborgenes (beide 2002) befinden sich die Bewegungsmelder außerhalb des Raumes oder Ortes, in dem das Ereignis stattfindet. Die Arbeit Perlon Movie ist ein mit rosa Neonlicht erhellter Raum mit schwebenden Perlonstrümpfen, die quer durch das Schaufenster wandern und in einer Wand verschwinden, nur um danach wiederzuerscheinen. Bei der Arbeit Verborgeneshaben wir eine innenliegende Abstellkammer, an deren oberen kleinen Fensteröffnung ein Vorhang angebracht ist, der sich bewegt, sobald ein versteckter Ventilator von einem Bewegungsmelder ausgelöst wurde. Zu dieser Idee ist Smiatek kürzlich in ihrer Arbeit Kabine – Blow Up (2007) zurückgekehrt, bei der eine geschlossene quadratische Stoffkabine von der Decke bis zum Boden des Ausstellungsraumes hängt und ebenfalls in Bewegung gerät, sobald der Mechanismus an einer Seite der Installation ausgelöst wird. Wie fast alle ihre Installationen wird auch diese von einer feinen Zeichnung begleitet. Was sich aus all diesen Arbeiten erschließt, ist die Theorie der Überraschung. Es passiert Unerwartetes, wenn sich der Betrachter ihnen unvermittelt nähert. Hier bedarf es einer Unterscheidung zu den Arbeiten, die eine aktivere Form der Mitwirkung voraussetzen. In den Arbeiten Dog Days I und Dog Days II (2007) wird ein Gitter-Ventilator verwendet, bei dem man im ersten Fall durch einen herabhängenden seidenen Vorhang gehen muss und dabei den aufwärts ziehenden Luftzug spürt, bevor man den nächsten Ausstellungsraum betritt. Im zweiten Fall ist der Gitter-Ventilator in einen eigens gebauten Korridor eingelassen, und man fühlt den, von einem Bewegungsmelder ausgelösten Aufwind à la Marilyn Monroe. Das Motiv für den Titel dieser Arbeit scheint nicht sofort klar. Die Bezugnahme auf die ‘Hundstage’ ist die zu jenen Tagen des Spätsommers, an denen man in ein Stadium der physischen Lethargie und des emotionalen Stillstands verfällt. Ihr Ursprung liegt in der klassischen Antike und altertümlichen zyklischen Astronomie.6
Offensichtlich bei fast allen Arbeiten Smiateks ist das Wesen dessen, was man unter Häuslichkeit versteht und was den von ihr verwendeten Gegenständen anhaftet. Und in letzter Zeit gab es eine Entwicklung des femininen Aspekts der Dinge, die ihren Objekten beigefügt sind. Während ihre aus Silikon gefertigten ’roten Schuhe’ früher in der Installation Schuhflimmern (2002) aufgetreten sind, in der sie auf quadratischen weißen Platten in einem Gitter-Arrangement platziert waren und zum Zittern gebracht wurden, ist Smiatek in einer neueren Arbeit zu diesem Thema zurückgekehrt. In dieser späteren Installation wurden die Schuhe in eine Richtung weisend auf einer erhöhten Plattform angeordnet, so als würden sie auf einem Laufsteg vorwärts schreiten. Rote Schuhe haben natürlich eine lange Reihe von ikonenhaften Assoziationen in der Populärkultur, nicht nur von der Hans Christian Andersen Erzählung ausgehend, von der sie vermutlich abstammen, sondern auch durch ihre Rolle in bekannten Filmen.7 In der Tat ist es die Kritik am Geltungsdrang und den wahnhaften Aspekten von Lifestyle und Konsum, die bei Smiateks Haltung an erster Stelle steht. Mode und die Manipulation von Sehnsüchten ist ein im Vordergrund stehendes Thema in vielen der jüngsten Installationen der Künstlerin. Eine Installation von Objekt-Skulpturen, genannt Gelée Royal (2007), bringt es auf den Punkt. ‘Gelée Royal’ ist die Honigabsonderung, die von den Arbeiterbienen an die spezielle Larve, die spätere Bienenkönigin, verfüttert wird und somit das einzige Instrument, das ihnen ermöglicht ihr eigenes Bienenvolk und die Honigwaben fortzuführen. Es ist die Bienenkönigin, die zukünftige Generationen von Larven durch ihre Rolle als Eierlegerin aufrechterhält. Das ‘Gelée Royal’ wird ausschließlich von der Königin des Bienenvolkes konsumiert, und ist der einzige Zweck, dem die Drohnen und Arbeiterbienen dienen. Der Vergleich zur heutigen Modeindustrie mit ihren Supermodels und ihrem Schwerpunkt auf Begehren und Konsum ist nahe liegend. In der Tat, der Begriff ‘Bienen-Königin’ verweist explizit auf den zentralen Punkt eines weiblichen Systems.
Die kapitalistische Pflege der illusionären Sehnsüchte als oberstes Gebot, um das moderne Verbrauchsverhalten zu stützen, zeigt sich als wichtiger und beabsichtigter Aspekt in Smiateks Installation Gelée Royal, zu der eine Serie von Arbeiten gehört, die miteinander interagieren. Das Werk Skyline – Indiana Rouge, Champagne Rosé, Caramel Pink, Passion Red (2006), Teil des Themas ‘Stadt der Frauen’, zu dem die Künstlerin gearbeitet hat, bestand aus einer Gruppe von aus Silikon hergestellten übergroßen Lippenstiften, die vertikal angeordnet auf einer weißen Platte eines hohen Hockers oder Sockels platziert waren. Die Lippenstifte vibrierten, sobald sich ein Betrachter dem Aufbau näherte. Der Bezug zu einer Skyline lässt unweigerlich an Städte wie New York denken und an solche Fernsehserien wie ‘Sex and the City’, die dem Betrachter automatisch in den Sinn kommen.
Abermals war ein Spiegel angebracht, hier zwischen den Beinen im unteren Bereich des Hocker-Tisches, auf dem in verschiedenen Schriftzügen Städtenamen, wie Zürich, London, Paris und Berlin erschienen. In diesem Beispiel intensivierte die Vibration den Gedanken an Attraktion und Begehren. Während dies einerseits eine humoristische Wahrnehmung der optischen Erregung auslöst, ist es andererseits eine Art humorvolle Parodie auf den modernen Schönheitssalon. Luxus und Konsum, insbesondere in Relation zu Eitelkeit und Geschmack, waren offensichtlich auch in anderen Arbeiten der Gelée Royal Installation enthalten. Die bereits besprochene Ventilator-Arbeit Dog Day I gehörte ebenso dazu wie auch der vibrierende Spiegel wie eine Götterspeise auf Beinen. Hier war der Spiegel so platziert, dass er das Tapeten-Fragment, das Smiatek von einem in 1913 gestalteten Muster vergrößert hatte, reflektierte. Der Fußboden bestand aus Original-Bodenfliesen aus derselben Zeit. Was wir erfahren, ist eine Mixtur von Stilen, als Metapher für die Umformung unserer modernen kurzlebigen Geschmacksvorstellungen. In dieser Hinsicht bezeichnet der Einsatz der Vibration die unhaltbare Vergänglichkeit aller Formen von modischen Stilen, also Gegenstände, deren eigentliche Bestimmung die Kurzlebigkeit ist und die als solche vermarktet werden.
Die Verwendung von grafischen Wandarbeiten ist ein weiterer Bereich des Schaffens im Werk dieser Künstlerin. Smiateks Text-Wandarbeit Don´t Touch (2007) wurde mit MakeUp-Glimmer ausgearbeitet. Die Folgerung ist, würde es berührt, würde es unmittelbar verschmiert werden. Der Drang zur Berührung ist übermächtig, zwangsläufig wurde die Arbeit während der Ausstellung (wie beabsichtigt) verschmiert. Der Titel ist komplexer als man sich zuerst vorstellt, und sicherlich verweist er humorvoll auf André Bretons und Marcel Duchamps Internationale Surrealisten-Ausstellung in 1947. Eine Schlüsselarbeit, und zugleich Katalogumschlag, bestand aus einer künstlichen weiblichen Brust, die auf eine mit schwarzem Samt bezogene Auflage gesetzt war, gestaltet von Duchamp, und die man drücken musste, um den Katalog zu öffnen. Die Arbeit wurde von Duchamp ‘Bitte Berühren’ (‘Please Touch’) genannt. Hier entdecken wir noch einmal Smiateks Vergnügen an der Umkehrung von Ideen und ihrer früheren Verwendung. Diese Arbeit reflektiert außerdem, was wir hier in Betracht ziehen könnten, eine größere Hinwendung zum Surrealismus in jüngster Zeit, zumindest hinsichtlich des allgemeinen Prinzips der Zusammenführung entfernter Realitäten.
Wenn wir die Serie von Arbeiten mit dem Titel Doggy Doggies (2006-08) nehmen, finden wir nicht nur einen intensiven Humor, sondern auch ein Verspotten des Konsums und der Sucht nach aktuellen ‘Mode-Marken’. Die Text-Wandarbeit ist ein ineinander verschränktes DD, eine scheinbare Parodie des DG von Dolce & Gabbana, und die Doggy Bags 1,2,3 sind ebenfalls ironische Anspielungen auf Mode und den Konsum von Designer-Taschen. Der Umstand, dass sie aus halb verstümmelten Stofftieren hergestellt und zu einer angeblichen Designer-Tasche zusammengeführt sind, deutet eine Form umfassenderer moralischer Verstümmelung an. Eine Hunde-Tasche fährt eine Rampe hinab, wiederum durch einen uns bereits vertrauten Bewegungsmelder ausgelöst. Indessen, in ihrem Auftreten als nunmehr eingeengte (oder behütete) Existenz, fährt die Tasche von ihrer kleinen Hütte hinunter, sobald der Mechanismus von dem Sensor aktiviert wird. Das Gleichnis ist mehr als menschlich. Die wachsende besitzergreifende Vermenschlichung der Hunde-Welt, in der der Besitzer und sein Haustier nicht nur beginnen gleich auszusehen, sondern auch am selben Konsum-Lifestyle teilhaben, ist humorvoll auf der einen Seite, aber auch zutiefst beunruhigend auf der anderen. Ähnliches beim Spiegel-Kreis mit zwölf vergoldeten keramischen Hunde-Näpfen inklusive Knochen (die Anzahl ist nicht zufällig), betitelt mit Doggy Doggies Food, der andeutet, dass der luxuriöse Lifestyle-Konsum auf alle Säugetiere übergreift.
Fünfzehn weitere gegossene Hundeknochen sind im Zentrum eines Kreises angeordnet wie bei einem kunstvoll verzierten Tischgedeck. Ein keramischer und vergoldeter Hundeknochen, genannt Knochenflöte, erscheint in einer fein gearbeiteten mit schwarzem Samt ausgeschlagenen Holzschachtel, in die ein Spiegel im Deckel eingearbeitet ist. Die Erscheinung ist nahezu die einer Reliquie, ein besonderes Objekt der Verehrung und der abstrakten Begierde. Die Erscheinung ist nahezu die einer Reliquie, ein besonderes Objekt der Verehrung und der abstrakten Begierde. Die entfernten Wirklichkeiten einer früheren Zeit rücken wieder näher. Indessen haben auf einem bestimmten Niveau menschliche Wortspiele oder Scherze eine Bestimmung. Das ‘doggy bag’ ist etwas, das von Restaurants angeboten wird, um Speisen mitzunehmen, die nicht konsumiert wurden. Die Arbeiten stellen ferner weitere Fragen voll ironischer Selbstreflexion zu unserem modernen Konsum von Dingen in der Welt.
Bei aller Vielfalt des Fachthemas ist es wert festzustellen, dass sich die tatsächlichen Materialien, die von Smiatek in ihren Installationen verwendet werden, in einem begrenzten Spektrum bewegen. Das, so meine ich, repräsentiert einen konzentrierten Versuch ihrerseits, eine einzigartige Ausdruckssprache zu entwickeln und beizubehalten, eine, die nicht die reine Vielfalt des heutigen materiellen Konsumverhaltens aufwertet. Auch aus diesem Grund sind es im Allgemeinen nicht Materialien von hohem Geldwert, ihr Wert entwickelt sich in und durch ihre ästhetische Umgestaltung. Schon das sehr Alltägliche der Objekte führt diese ins Skurrile, und es ist die Verwandlung des Banalen, die ihre Arbeit untermauert. Der Witz und Humor, mit welchem sie ihre Arbeit verfolgt, kann allerdings nicht die beunruhigende Bedeutung von Smiateks Objekt-Skulpturen überdecken.
Der Betrachter wird in einen Zustand der selbstreflektierenden Befragung katapultiert, in einen verschobenen Sinn der Bedeutungen, herausgefordert durch die häufig motorisierte Interaktion in den Arbeiten. Kurz gesagt, die Arbeiten erlauben wenig beschauliche Passivität, und natürlich ist Humor in Verbindung mit Verführung und Flirt eines der charakteristischen Prinzipien. Moderner Konsumenten-Kapitalismus ist alles andere als ein sparsamer Umgang mit Trieb und Begehren, sondern richtet sich mit den Mitteln der Verführung und des Flirtens in seiner Werbung an das konsumierende Publikum. Objekte der Begierde sind die primären Ingredienzien dieser Übermittlung. Das heißt, es wäre ein Fehler Johanna Smiateks Arbeit in Form einer rein negativen Kritik zu verstehen. Die Künstlerin ist gleichzeitig fasziniert, als auch abgestoßen von den Zuständen und den Rollen, die die Dinge in der Welt heute spielen. Aber es ist wie mit allen kreativen Anstrengungen, sie sind mit Fragen verbunden und sind in aller Konsequenz beides, aneignend und erforschend, um zu sehen, welche großen verborgenen Bedeutungen preisgegeben werden könnten.
© Mark Gisbourne
Freitag, 1. August 2008
ANMERKUNGEN
1 Der Autor Comte de Lautreamont (eigentlich Isidore Lucien Ducasse, 1948-70) war ein Held der Symbolisten und Surrealisten. Das berühmte Zitat stammt aus dem ‘Sechsten Gesang’ von Les Chants des Maldoror (1868-69).
2 Zu den Unterschieden zwischen Kinetic Art und Op Art, vgl. Frank Popper, ’Origins and Development of Kinetic Art’, Studio Vista, New York und London 1968; Joe Huston, ‘Optic Nerve. Perceptual Art and the 1960s’, Merrel, London 2007; Frances Follin, Claus Pias u. Martina Weinhardt, ‘Op Art’, Buchhandlung Walter König, Köln und London 2007, zugleich Katalog zur Ausstellung in der Frankfurter Schirn.
3 Publius Ovidius Naso, genannt Ovid (43 v. Chr.-17 n. Chr), ‘Metamorphosen’, Zweites Buch, Reclam, Stuttgart 1997.
4 Amy Ziering-Kofman und Dick Kirby, ‘Derrida. Screenplay and Essays on the Film’, Manchester University Press, 2005. Dies war das letzte Dokumentarfilmprojekt, an dem der 2004 verstorbene Begründer der Dekonstruktion im Jahr 2002 arbeitete. Buch und DVD erschienen nach seinem Tod.
5 Während der Koffer auf Marcel Duchamps ‘Boîte en Valise’ (1934-41) verweist, geht der Spion auf dessen Werk ‘Etant Données’ (1946-66) zurück. Vgl. Ecke Bonk, ‘Marcel Duchamp. The Portable Museum’ (The Making of the Boîte en Valise), Thames & Hudson, London 1989.
6 Der Begriff ‘Hundstage’ wurde verwendet von den Griechen (z.B. Aristoteles, ‘Physik’, 1992) und den alten Römern (die die Tage ‘caniculares dies’ nannten) nach Sirius, dem hellsten Stern des Himmels neben der Sonne. Die Hundstage waren ursprünglich solche, an denen Sirius, der Hundestern, unmittelbar vor oder zeitgleich mit dem Sonnenaufgang aufging (heliakischer Aufgang). Aufgrund der Präzession (Kreiselbewegung) der Äquinoxe ist das heute nicht mehr der Fall. In der Antike opferte man einen braunen Hund am Beginn der Hundstage, um den Zorn des Sirius zu besänftigen, im Glauben, dass der Stern für das heiße, schwüle Wetter verantwortlich wäre.
7 Andersens Märchen ‘Die Roten Schuhe’ wurde erstmals 1845 veröffentlicht. 1948 wurde es von Michael Powell und Emeric Pressburger mit Moira Shearer, Anton Walbrook und Marius Goring in den Hauptrollen verfilmt. Eine anschließende Ballettversion beruhte auf dem Film. Rote Schuhe mit Zauberkraft kommen auch im ‘Zauberer von Oz’ mit Judy Garland in der Hauptrolle von 1939 vor. Kate Bush nannte ihr siebentes Album ‘The Red Shoes’, nach dem Film mit Moira Shearer.
MICHAEL STOEBER
Wer bin ich? (Zum Werk von Johanna Smiatek)
Legendär geworden ist der Satz des Schriftstellers Heiner Müller (1929 – 1995) beim Blick auf die eigene Person in den Spiegel am Morgen. Sich seiner selbst ansichtig werdend, sprach er: „Kenn´ ich nicht. Rasier´ ich nicht.“ Nicht immer also muss die Selbstprüfung vor dem Spiegel in Narzissmus enden. Und wer vor Johanna Smiateks mannshohen Spiegel „Paris“ (2009) tritt, erlebt wie von selbst eine gewaltige Überraschung. Durch einen Bewegungsmelder ausgelöst, fängt der Spiegel an zu zittern, als erschrecke er vor dem Menschen, den er da gerade zu sehen bekommt. Das Objekt hält nicht mehr still und bleibt nicht mehr stumm im Werk der Künstlerin. Sondern durch Smiateks Animation wird es in gewisser Weise zum Subjekt und damit zum Gegenüber in einem Dialog mit dem Betrachter. In diesem Fall eröffnet das belebte Objekt wie so oft in der Kunst der Künstlerin einen gewaltigen Hall- und Echoraum an Referenzen. Indem der Spiegel erschrickt und erzittert und sich förmlich schüttelt vor dem sich in ihm betrachtenden Gegenüber, löst er bei diesem nach einem ersten überraschten, vielleicht ebenfalls erschreckten Erstaunen über dieses unerwartete Intermezzo wie von selbst einen Reflexionsprozess aus. Bei ihm unterzieht der Mensch seine im Spiegel verschwimmende und undeutlich werdende Person einer im Gegenzug umso stärker und schärfer ausfallenden Bewusstseinsprüfung. Bei ihr steht nicht mehr die reine Körperwahrnehmung auf dem Spiel „Bin ich schön?“ – sondern das Ganze der Identität „Wer bin ich?“.
Diese philosophische Frage von großer Tragweite zieht sich im Grunde wie ein rotes Band durch alle Werke der Künstlerin. Ein Spiegel ist auch Teil ihrer in Salder ausgestellten „Glamour Box“ (2010). Er besetzt den Innendeckel einer kleinen, äußerlich schlichten Holzkiste und zeigt als Widerschein zweimal das perspektivisch verzerrte Wort Glamour. Es ist sowohl in Rot und Schreibschrift als auch in Gold und Blockbuchstaben mit nicht fixierten Glimmerpigmenten auf Boden und Seitenwände der Kiste aufgebracht. Beide Worte sind gegeneinander gesetzt und lesen sich im Spiegel noch einmal seitenverkehrt. In spielerischer und unangestrengter Weise inszeniert die Künstlerin durch den auf diese Weise mehrfach gespiegelten Auftritt der Worte eine Art Wahrheitssuche. Was ist richtig, was ist falsch? Nicht nur der Spiegel, sondern auch das Wort Glamour ist mit Vorbedacht gewählt. Die Selbstbespieglung des Objekts mündet in selbst referentieller Weise in die Eitelkeit der Mode. Wie in früheren Zeiten Reisealtäre kann man auch diese kleine Kiste mit sich herumtragen. Während die mobilen Altäre dazu dienten, die Menschen in ihrem Glauben zu stärken und zu Gott zu führen, führt Smiateks kleine Kiste durch eine paradoxe Intervention ihren Besitzer zu sich selbst. Sie ist ihm dabei behilflich, Sein und Schein zu unterscheiden und wesentlich zu werden. Denn der Transport lässt die Pigmente herunter rieseln und die Worte undeutlich werden. Der Glamour blättert buchstäblich ab. Er, den wir oft genug anbeten und verehren, ist in der Regel nicht weniger ephemer und kurzlebig als die Mode, der wir ebenfalls nur allzu gerne folgen.
Mit den glamourösen Angeboten der Mode operiert auch die etwas ältere Arbeit „Skyline – Indiana Rouge, Champagne Rosé, Caramel Pink, Passion Red“ (2006). Ihr Untertitel nennt verschiedene Lippenstiftfarben. Die Lippenstifte selbst, aus Silikon gefertigt, drängen sich wie eine Versammlung unterschiedlich großer Hochhäuser auf einer Holzplatte zusammen. Unterhalb der Platte ist einmal mehr ein Spiegel angebracht, auf dem seitenverkehrt und gleichfalls in verschiedenen Rottönen die Städtenamen Paris, Zürich, London und Berlin als Modezentren stehen, die mittels eines weiteren Spiegels richtig zu lesen sind. Auch hier fangen die Lippenstifte an zu zittern, sobald ein Betrachter sich nähert. Der Eindruck ist stark, die mit ihm verbundenen Assoziationen vielfältig. Man denkt an Erdbeben und einstürzende Häuser, aber auch an sich öffnende und vor Begehren zitternde, weibliche Münder. Zugleich haben die Lippenstifte aber auch stark phallische und aggressive Züge, was bereits in der Vergangenheit die Pop Art wiederholt, wenn auch eher plakativ, heraus gestellt hat. Beispielsweise die Bilder von Robert Indiana (geb. 1928) oder die Skulpturen von Claes Oldenburg (geb.1929). Johanna Smiateks Werk gewinnt eine zusätzliche Dimension durch seine Vermischung der Sphären. Nicht nur das Männliche und Weibliche durchdringen sich in ihm, sondern ebenso das Starke und Schwache wie das Zeitliche und Ewige. Begriffe und Vorstellungen schlagen um in ihr Gegenteil, verlieren ihre Eindimensionalität und werden schillernd und vieldeutig.
© Michael Stoeber
August 2012